Aktuelle Stunde: Der internationale Tag gegen Rassismus

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörende!

Ramadan Kareem und Newroz Mubarak! Treffen sich ein Unternehmer, eine Wissenschaftlerin, ein Künstler und eine Politikerin in einer Bar – was beginnt wie ein Witz, endet mit dem, was für viele Menschen in diesem Land seit einiger Zeit Realität ist: Fluchtgedanken. Sie, also wir, sitzen zusammen und überlegen gemeinsam, wohin wir fliehen, wenn es soweit ist. Welches Verkehrsmittel nimmt man am besten? Welche Visavorschriften gibt es? Was nimmt man mit? Wo wird man – vielleicht gemeinsam – wohnen? Wo überhaupt ist ein sicherer Ort?

Viele von Rassismus betroffene Menschen berichten seit Monaten und Jahren schon vom Gefühl des quasi gepackten Koffers im Flur, des Jeden-Moment-Bereitseins für einen Neuanfang weit weg vom menschenverachtenden Rassismus in Deutschland – ein Gefühl der Selbstermächtigung, eine Souveränität, selbst einen Schlussstrich ziehen und gehen zu können. Jetzt aber sind die Zeiten andere. Jetzt stehen Deportationspläne für rassifizierte Menschen auf der Tagesordnung.

Ich will das gerade am heutigen Tag in aller Klarheit sagen: Rechtsextremismus, Rassismus, Antisemitismus und andere Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit sind die größte Bedrohung für unsere Demokratie. Es ist gut, wichtig und längst überfällig, dass diese Gesellschaft aufsteht und beginnt zu handeln, denn die Bedrohungslage ist nicht erst seit einem Geheimtreffen in Potsdam bekannt. Ich bin mit den Bildern der Skelette der ausgebrannten Häuser von Mölln und Solingen aufgewachsen. Der Anschlag auf die Geflüchtetenunterkunft in Rostock-Lichtenhagen, die im Haus dem rassistischen Mob ausgelieferten Menschen, die nicht eintreffende Polizei haben sich tief in mein Bewusstsein eingebrannt. Der Anschlag in Lübeck, in Wohnortnähe meiner Großeltern, bleibt eine angsterfüllte Erinnerung. Die langen Abende vor dem Fernseher und immer wieder Nachrichten über noch einen Anschlag, meine verstohlen flüsternden Eltern, meine still betende Großmutter und die Angst vor Feuer sind meine Erinnerungen an die vermeintlich farbenfrohen, flippigen 1990er-Jahre.

Jetzt, als Erwachsene, verstehe ich auch, warum wir nachts das Licht angelassen haben, als wir schlafen gegangen sind. Die Zweitausender wurden für von Rassismus betroffene Menschen nicht einfacher. Mit dem 11. September 2001 verschoben sich Diskurse. Verschiedene Kulturen wurden für unversöhnlich erklärt, ein „Clash of Cultures“ fabriziert. Als die rassistisch motivierten rechtsextremen Terroristinnen und Terroristen des NSU mordend durch das Land zogen, sprach die mediale Öffentlichkeit von „Döner-Morden“. Für das Schicksal der Opferfamilien hatte man wenig übrig, wurden sie doch ins zwielichtig-mafiöse Milieu gerückt. Es war die Zeit angebrochen für das „Man wird doch noch sagen dürfen“, die Zeit der „Kopftuchmädchen“, des Geredes über „Kinder produzierende Hartz-IV-Empfängerinnen“. Sie sehen: Rassismus ist weit mehr als nur ein physischer An- oder Übergriff. Angespuckt oder am Kopftuch gezogen werden sind rassistische Alltäglichkeiten für viele Menschen in dieser Gesellschaft – bestürzende Lebensrealitäten, ja. Vorbereitet wird diese Gewalt aber von einer Sprache, die verharmlost, delegitimiert, verdächtigt und den Diskursraum immer weiter verschiebt – zuungunsten von Rassismus betroffener Menschen.

Die Verschiebung der Grenzen des Sagbaren aber führt zu einer Verschiebung der Grenzen des Machbaren. Die Justiz, Sicherheitsorgane und, ja, auch die Politik müssen Rassismus aktiv bekämpfen und Menschen schützen, die von Rassismus betroffen sind. Staatliche Institutionen und gewählte Volksvertreterinnen und -vertreter dürfen den Rassismus nicht reproduzieren, indem sie Migrantinnen und Migranten und migrantisierte Menschen zu Fremden machen. Konkret heißt das: Racial-Profiling ist rassistisch und muss endlich abgeschafft werden! Es ist rassistisch begründet, dass eine Kopftuch tragende Frau nicht in den Staatsdienst treten kann. Es ist rassistisch begründet, dass schwarze Menschen häufiger auf Drogenbesitz kontrolliert werden. Es ist rassistisch begründet, dass Romnja und Roma zu den benachteiligsten Gruppen auf dem Wohnungs- und Arbeitsmarkt zählen.

Wir müssen weg von der Einzelfallerzählung und hin zur strukturellen Betrachtung des ganzen Ausmaßes an Benachteiligung und Ausgrenzung kommen. Wir müssen die Vielzahl an Menschen in unserer Stadt sehen, die beinahe en passant alltäglich rassistische Gewalt erleben. Wir müssen erkennen, welche Chancen und Potenziale vertan werden, welche Verletzungen und Traumata sich ergeben und welche Gräben entstehen. Nun gibt es in diesem Parlament das Bekenntnis, zum Tag gegen Rassismus ein Zeichen setzen zu wollen. Das ist unbedingt begrüßenswert, doch es bleibt immer noch die Frage, ob Nicht-rassistisch-Sein als Bekenntnis ausreicht. Ist die Begehung eines Tages gegen Rassismus als performativer Akt der Selbstvergewisserung ausreichend, oder ist es, um es mit den Worten von Angela Davis zu sagen, „nicht ausreichend, nicht-rassistisch zu sein“, sondern Zeit, „anti-rassistisch“ zu handeln? Wir Bündnisgrüne haben uns als Teil der Koalition in Berlin der verantwortungsvollen Aufgabe des Antirassismus gestellt und die fortschrittlichste Antidiskriminierungspolitik aller Bundesländer mitbegründet. Die Einführung des Landesantidiskriminierungsgesetzes ist ein Meilenstein.

Die staatliche Anerkennung des Rechts auf Antidiskriminierung ist eine Errungenschaft. Wir meinen es ernst mit dem Kampf gegen gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit und fordern von der schwarz-roten Koalition jetzt das Gleiche. Arbeiten Sie an der weiteren Ausgestaltung von antidiskriminierenden, antirassistischen Strukturen und Instrumenten! Packen wir es gemeinsam an mit der Enquete-Kommission und sorgen dafür, dass sie zu zielgenauen Maßnahmen kommt, die das Leben von Rassismus betroffener Menschen erleichtern! Nehmen Sie weitere Diskriminierungsmerkmale ins LADG auf! Schaffen Sie endlich das unsägliche Kopftuchverbot in Gestalt des Neutralitätsgesetzes ab, und sichern Sie das Recht Kopftuch tragender Frauen auf diskriminierungsfreie Berufsausübung! Setzen Sie den Beauftragten oder die Beauftragte gegen Antiziganismus ein und nehmen Sie die Belange von Sintizze und Sinti sowie Romnja und Roma ernst! Stellen Sie die Finanzierung des deutschlandweit einzigartigen Black Community Centre sicher und unterstützen die Realisierung dieses Jahrhundertprojekts! Sichern Sie dauerhaft Projekte ab, die sich unermüdlich und viel zu oft unter Bedingungen der Selbstausbeutung der intersektionalen Antirassismus- sowie der Arbeit gegen Antisemitismus verschrieben haben!

Lieber Regierender Bürgermeister! Liebe Antidiskriminierungssenatorin Kiziltepe! Liebe Mitglieder des Senats! Liebe Kolleginnen und Kollegen der Regierungskoalition! Der Schutz vor rassistischer Diskriminierung ist ein Menschenrecht. Gedenktage sind es nicht. Auf dem Gymnasium, vielleicht in der 5. oder 6. Klasse, musste ich für den Deutschunterricht einen Aufsatz über Schranken schreiben. Kürzlich fiel mir mein altes Deutschheft in die Hand, und ich las: Eigentlich wollte ich immer Lehrerin werden, aber mein Kopftuch ist meine Schranke. – Es hat beinahe drei Jahrzehnte gedauert, bis ich verstanden habe, dass nicht ich das Problem bin. – Vielen Dank!