15. März: Internationaler Tag gegen Islamfeindlichkeit

Sehr geehrte Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Es beginnt auf dem Spielplatz, nahe unserem neuen Zuhause in dieser neuen Stadt. Ich bitte um ein wenig Platz für meinen Sohn, drei Jahre alt. Auf der Schaukel sitzt ein Mann: von außen jung, im Inneren lange tot. „Islamistin! Terroristin!“, zischt er – Sprache, mit der er meinem Kind und mir droht. Er sagt, wir dürften hier nicht sein – nicht in seinem Land. Ich werde nie verstehen, wie Worte einen Körper mit Schuld übersäen können.

Es beginnt mit einem Brief ans Gericht, nur Wochen vor meinem Tod: ein Manifest des Hasses. Keine Fantasie, nur deutsche Realität, schwarz auf weiß. Dann beginnt der Tag der Verhandlung. Draußen Sommer, drinnen kaltes Gerichtsgebäude. Keine Durchsuchung, keine Detektoren. Mein Sohn an meiner Seite. Mein Ungeborenes unter meinem Herzen. Dann schwarzer Rucksack, Reißverschluss, Metallklingen. Ein japanisches Kampfmesser, 18 Zentimeter Klinge. 18-mal trifft sie mich. Leber. Lunge. Herz. 30 Sekunden: Dann verblute ich.

Blaulicht. Sirenen. Zu spät. Mein Mann sieht mich zum letzten Mal. Auch er wird niedergestochen. Ein Polizist stürmt den Saal. Sieht weißen Mann, braunen Mann und schießt: nicht auf meinen Mörder, sondern auf meinen Ehemann. Mein Sohn sieht zu. Alle fliehen. Er bleibt zurück. Sie heben meinen Körper auf, rot getränkt in Kopf- und Totentuch. Mein Mann im Koma, mein Kind bei Fremden. Meine Eltern ohne jede Nachricht. Bis heute keine offizielle Entschuldigung. Keine Untersuchung, keine Antworten. Nur Schlagzeilen, die lauten: Schaukelstreit eskaliert!

Ich heiße Marwa El-Sherbini. Ich war 31 Jahre alt, Handballnationalspielerin und Pharmazeutin. Am 1. Juli 2009 wurde ich in einem deutschen Gerichtssaal von einem deutschen Rassisten ermordet.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der Koalitionsfraktionen! Sie sprechen heute über einen UN-Gedenktag und vermeiden so den Blick in den Spiegel. Der 15. März erinnert an die rassistische Tat im Jahr 2019 im entfernten Neuseeland. Der 1. Juli 2009 hingegen ist nah: ein Gewaltakt antimuslimischen Rassismus hier mitten in unserer Justiz – unsere Realität, unser Diskurs und unsere Verantwortung. Heute haben Sie die Gelegenheit, Unrecht zu benennen und diese Verantwortung zu übernehmen. Stehen Sie zum 1. Juli, dem Tag gegen antimuslimischen Rassismus. Das ist Ihre Chance, auf der richtigen Seite der Geschichte zu stehen. Ich hoffe, Sie nutzen das.

Vielen Dank!