Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es könnte so schön sein: Berlin als europäischer Start-up-Leuchtturm, als Wagniskapitalhauptstadt der deutschen Deep-Tech-Branche, als Akkumulator ausländischer Investitionen, als Technologiebrücke für Green Tech, Pharma und Digitaltechnik nach Fernost und Fernwest; Berlin als der industrielle Hersteller von U-Bahnen und Zügen, der künstlichen Intelligenz fürs autonome Fahren und, und, und.
Hört man dieser Tage der Wirtschaftssenatorin zu, könnte man meinen, Berlin sei all das und viel mehr schon. Mit Meinen allein ist es aber nicht getan. Schauen Sie sich um! Die Zeiten sind angespannt. Es gilt jetzt, in aller Entschiedenheit die ökonomische Lebensgrundlage der Berlinerinnen und Berliner abzusichern, und zwar mit einer Wertschöpfung, die den Erhalt unserer natürlichen Lebensgrundlagen fokussiert.
Dafür braucht es Entschiedenheit, Weitsicht und Zukunftsmut, um eben unsere Demokratie, wie der Soziologe Steffen Mau es so schön formuliert, durch Wohlstand zu entspannen und die Ausgaben unseres Gemeinwesens in absehbarer Zeit aus eigener Kraft finanzieren zu können. Lebe wohl, Länderfinanzausgleich!
Aber Wirtschaftspolitik ist ein Ergebnissport. Zahlen und Fakten schlagen jede Erzählung. Wir müssen den Ursachenzusammenhang genau benennen und Schlussfolgerungen für die nächsten Schritte ziehen, und hier setzt unsere Kritik am Senat an. Wo bleibt die Analyse der Wirtschaftssenatorin bezogen auf das Hier und Jetzt? Wo ist das vehemente Eintreten für Investitionen? Wo ist das Wehren gegen den Stopp vieler Wirtschaftsfördertöpfe? Warum lassen wir plötzlich GRW-Mittel liegen? Wo bleibt die überfällige Überarbeitung des Masterplans Industriestadt?
Seit anderthalb Jahren wissen sich die Kolleginnen und Kollegen der Regierungskoalition auf all diese Fragen noch immer mit dem Fingerzeig wahlweise auf vorige Regierungen oder den Bund zu helfen. Mal stören Sie sich am Ton der kritischen Nachfragen, mal sind die Forderungen nicht konkret genug. Was denn Ihr Job als Koalition und Senat ist, fragt man sich.
Wann werden aus Gipfeln, Runden Tischen und Taskforces endlich Konzepte und verbindliche Leitfäden, und wann wird ein ordentliches, zielgerichtetes Prozess- und Aufgabenmanagement organisiert? Wann werden Entscheidungen getroffen, wann Investitionen in die Zukunft unserer Demokratie getätigt, wann Vertrauen der Start-up-Szene und der Industrie wiederhergestellt? Wann wird Verantwortung für das eigene Tun beziehungsweise hier in diesem Fall Nichttun übernommen?
Wirtschaftspolitik ist eine Tagesaufgabe, politisches Day-Trading mit unserem Kapital. Da kann man schon nervös werden, wenn Sie ausweislich Ihrer Social-Media-Kanäle von einem vermeintlichen Erfolgsgipfel zum anderen eilen, Ankündigungen noch und nöcher machen und im Stile einer Konzert- und Gastspieldirektorin vor allem die Dienstleistung pampern.
Aber auf der Abrechnung der Volkswirte steht: Gründungen scheitern vermehrt, Insolvenzen auf Rekordniveau, Insolvenzmasse niedrig wie nie. Unternehmen stellen sich auf Schrumpfung ein, weil der Senat etwa schon beschlossene Investitionen streckt oder cancelt, Stichwort U-Bahn-Beschaffung.
Es gibt enorme brachliegende Reserven beim Technologietransfer zwischen Hochschulen und Wirtschaft. Ideen werden weiterhin hier angeschoben, aber woanders realisiert. Das Außenhandelsdefizit hat sich verdoppelt von 2022 auf 2023. Berlin arbeitet also wieder mehr für das Einkommen anderer Volkswirtschaften als für die eigene Kasse.
Doch die Wahrheit ist: Die Gründungsszene ist verunsichert, wird durch ihr Nichttun vehement gehemmt und muss sich gefallen lassen, die x-te Nachfrage zu stellen zu einem über Monate nicht beantworteten Antrag auf Gründungsförderung. Es ist unerträglich und beschämt mich zutiefst, wie Sie, Frau Senatorin, mit dem Kapital, dem Vertrauen und den Mitteln unserer Stadt umgehen. Wir fordern vom Berliner Senat, mit einer durchdachten und kohärenten Industrialisierungsoffensive die Berliner Technologieentwicklung zu fördern.
Angesichts globaler Risiken und zunehmender Importabhängigkeiten müssen insbesondere klimafreundliche Innovationen in der Hauptstadtindustrie vorangetrieben werden. Das geht aber nicht, wenn Sie weiter unsere industrielle Substanz schleifen. Noch zehrt diese Stadt von den klugen strategischen Planungen der Vergangenheit.
Wir brauchen Fast Lanes für den schnellen Technologietransfer, Auszahlung und Anpassung der Förderprogramme und eine gezielte Ausbildung für nachhaltige Produktion und Effizienztechnologien.
Ich komme zum Schluss. – Das sind keine netten Ideen für die Zukunft, sondern notwendige Schritte für die Gegenwart. Dann werden aus Ihren immer merkwürdigeren und überspezifischeren Erfolgsmeldungen bald wieder echte Fortschritte. Für ein Berlin, das Lust und Mut macht auf Zukunft! – Vielen Dank